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Mein Vater hatte ein Elektrogeschäft. Alle drei bis vier Wochen fuhr er einmal mit seinem Auto nach Stuttgart, um Waren einzukaufen.

Jedes Mal durfte eine andere seiner vier Töchter mitfahren. Wir waren damals, im Jahr 1938, zwischen sieben und zwölf Jahre alt.

Es war immer ein Ereignis, in die „große Stadt" zu kommen. Was gab es da alles zu sehen, das anders und neu war: Lange Straßen, große Häuser, viele Autos und Straßenbahnen, elegante, geschminkte Damen, Warenhäuser mit tausend interessanten Dingen und mit Aufzügen - und vor allem den „Hindenburgbau" mit seinem Kabarett und Nachmittagskonzert.

Das war manches Mal der Abschluß und der Höhepunkt aller Aufregungen - vom sehr frühen, heimlichen Aufstehen morgens bis zur späten Heimfahrt im vollgepackten Wagen, in dem öfters die Lampengläser aneinander schlugen. Die vor Müdigkeit schweren Augenlider versuchten vergeblich, sich offen zu halten.

An diesem Morgen nach dem 9. November 1938 hatte ich das Glück, mit nach Stuttgart fahren zu dürfen. Ich war damals zehn Jahre alt. Mein Vater fuhr sehr früh, etwa um sechs Uhr, um in Stuttgart zu sein, wenn die Geschäfte öffneten.

Als wir in die Stadtmitte hineinfuhren, waren die Straßen voll von aufgeregten Menschen, die herumliefen oder in Gruppen beieinander standen.

Was wir sahen, war ganz seltsam: Auf den sonst so ordentlichen Straßen lag des Geschirr eines Cafés, dazwischen zertretene Torten und Kuchen. Schaufenster waren eingeschlagen, Stoffe und Waren lagen auf der Straße und auf dem Trottoir herum.

Besonders sind mir die schönen Schaupuppen eines Modegeschäfts in der Erinnerung geblieben, die, aus den Schaufenstern gerissen, zertrampelt und beschädigt, wie tote Menschen auf der Straße lagen.

Mein Vater fuhr langsam und hielt immer wieder an. Er fragte: „Was ist los; was ist denn geschehen?"

Nichts Genaues war zu erfahren, nur: „aufgebrachte Menschen - erregtes Volk - Empörung gegen die Juden, diese Blutsauger - ein Denkzettel...."

Eines war sicher: all diese eingeschlagenen Schaufenster, all diese verwüsteten Geschäfte gehörten jüdischen Mitbürgern. „Die Synagoge brennt auch..." sickerte noch durch.

Da sagte mein Vater: „Das hat kein ‚Volk’ gemacht, das ist ein geplantes und organisiertes Verbrechen, das ist das Werk der Nationalsozialisten, der Partei und der SS - und das ist der Anfang vom Ende. Jetzt brennen die Synagogen; wir werden auch noch brennen.

Diese Erklärung meines Vaters habe ich nie mehr vergessen.

Ich begriff alles nicht. Die Ahnung von etwas Unheimlichem und Schrecklichem hatte mich ergriffen; zitternd und in Angst verbrachte ich den Tag.

Diese Ahnung hat mich nicht verlassen, als wir nach Hause fuhren, und sie stand vor mir, als 1939 der Krieg begann.

Vier und fünf Jahre später war dann von der Anhöhe meiner Heimatstadt aus der vom Feuer gerötete Himmel zu sehen, in dem Stuttgart verbrannte - 80 km weit weg!

Und so brannten die Feuer des Schreckens in vielen Städten und Ländern.

Nie begreife ich, daß noch heute Menschen sagen können, sie hätten von den Verbrechen, die an jüdischen Menschen geschahen, nichts gewußt.

Als hätte dieser Auftakt des 9./10. November 1938 und all die in aller Öffentlichkeit angeordneten Erniedrigungen und Ausschließungen - von „Juden unerwünscht" an den Gaststätten und „Nicht für Juden" auf der Parkbank bis zum Schul- und Berufsverbot - nicht genügt, ganz zu schweigen von all dem Übrigen, das nicht im Verborgenen geschah. Jedem mußte klar sein, daß hier sein Mitmensch „unter die Räuber fiel".

Möge uns dies eine unvergessene Mahnung sein für unser tägliches Leben!

 

 

von Margarete Metz, niedergeschrieben 1978

Nie wieder! Opfer des HOLOCAUST
Geboren am 31.01.1933
Gestorben am 14.05.1945

12.272 498 4

Zurueck zur Gedenkstaette Erstellt am 09.11.2010,
Erstellt von sabine sedlbauer

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